Nio ET7

Sprachassistent Nomi und Batterietauschoption sollen Nio von der Konkurrenz abheben.

In Sachen bezahlbare, kleine E-Autos ruhen die Hoffnungen vieler Kunden, die gerne vom Verbrenner auf BEV umsteigen wollen, auf chinesischen Modellen. Doch mischen die Asiaten auch im Bereich der Premiumklasse ordentlich mit. Eines der prominentesten Beispiele: der Nio ET7. Zweifellos ist die Limousine eines der innovativsten Elektrofahrzeuge auf dem Markt  und bietet zahlreiche fortschrittliche Assistenzfunktionen sowie eine moderne Benutzeroberfläche. Auf dem automotiveIT car.summit stellte beispielsweise der Produkt Management Direktor für Europa, Benjamin Steinmetz den besonderen Stellenwert der User Experience bei Nio in den Vordergrund und betonte: „Bei der Definition des Software-Defined Vehicle geht es oft um Erwartungen an die Technik und zu selten um den Mehrwert für den Kunden.” Doch wie gut funktionieren die hoch angepriesenen Innovationen in der Praxis? Unser Test zeigt: Während das Fahrzeug einige beeindruckende Features besitzt, gibt es auch klare Schwächen.

Wie viele Sensoren hat der ET7?

Die Sensorik des ET7 basiert auf dem Nio Aquila Super Sensing und umfasst 33 hochleistungsfähige Sensoreinheiten, darunter ein hochauflösendes Lidar, elf 8-Megapixel-Kameras, fünf Millimeterwellen-Radare, zwölf Ultraschallsensoren, ein verbessertes Fahrerüberwachungssystem (ADMS), redundante hochpräzise Positionierungseinheiten und eine Hands-Off-Erkennung (HOD). Das System ermöglicht eine 360-Grad-Rundumsicht und erfasst acht Gigabyte an Daten pro Sekunde – eine Datenmenge, die zwei 4K-Filmen entspricht. Das sogenannte Watchtower-Sensor-Layout positioniert die Sensoren strategisch, um eine optimale Sicht in alle Richtungen zu gewährleisten. Die hochauflösenden 8-MP-Kameras bieten eine verbesserte Wahrnehmung der Umgebung, während das Lidar mit einer maximalen Reichweite von 500 Metern und einem Sichtfeld von 120 Grad eine präzise Objekterkennung ermöglicht.

Das Gehirn des ET7 heißt Adam. Dieses Super Computing System ist ausgestattet mit vier Nvidia Drive Orin SoCs, die zusammen eine Rechenleistung von 1.016 Tera-Operationen pro Sekunde (TOPS) bieten. Ein Hochleistungs-Bildsignalprozessor (ISP) verarbeitet 6,4 Gigabyte pro Sekunde, verbessert die Bildqualität und hebt Details hervor, um die Genauigkeit der Algorithmen zu maximieren. Ein ultrahochgeschwindigkeits-Backbone-Netzwerk soll sicherstellen, dass die von den Sensoren erfassten Signale verlustfrei und in Echtzeit verteilt werden.

Die Algorithmen des Systems basieren auf einer Multi-Solution-Wahrnehmungsfusion, hochpräziser Multiquellen-Lokalisierung sowie multimodalen Prognosen und Planungen. Diese Technologien sollen den ET7 befähigen, nach und nach verschiedene Fahrszenarien abzudecken – darunter Fahrten auf Schnellstraßen, in Stadtgebieten, Parkmanöver und den automatischen Batteriewechsel. Nio will ein sicheres und entspanntes intelligentes Fahren von Punkt A nach Punkt B zu gewährleisten, indem Unfälle vermieden und dem Fahrer mehr Zeit geschenkt wird. Zusammen sollen Aquila Super Sensing und Adam Super Computing eine leistungsstarke Einheit bilden, die den ET7 zu einem Vorreiter im Bereich des intelligenten Fahrens machen soll. So viel zur Theorie.

Was können Nios Assistenzsysteme wirklich?

In der Praxis erfolgt die Aktivierung des Spurhalteassistenten, beziehungsweise des Piloten über einen Knopf links am Lenkrad. In den meisten Fällen kann das System problemlos aktiviert werden – unabhängig davon, ob man innerorts, auf Landstraßen oder auf der Autobahn fährt. Allerdings ist das Fahrverhalten mit aktiviertem Assistenten relativ ruppig und wenig flüssig. Auch der sogenannte Pilot, das erweiterte Assistenzsystem von Nio, zeigt Schwächen. Oft kommt es zu plötzlichen, ruckartigen Lenkbewegungen, wenn das Fahrzeug in der Spur gehalten werden soll. Dieses abrupte Fahrverhalten vermittelt eher Unsicherheit als das versprochene entspannte Fahren.

Besonders auf schlecht markierten Straßen kommt das System schnell an seine Grenzen. Wenn die Fahrbahnmarkierungen unvollständig oder unzureichend sind, erkennt das Fahrzeug die Fahrspur nicht mehr zuverlässig, was eine hohe Aufmerksamkeit des Fahrers erfordert, um nicht von der Straße abzukommen.

Auf dem Display vor dem Lenkrad wird in Echtzeit dargestellt, welche Fahrzeuge und Straßenmarkierungen erkannt werden. Diese Visualisierung funktioniert gut und hilft dabei, das Verhalten des Fahrzeugs besser nachzuvollziehen. Doch wenn am Straßenrand abgestellte Fahrzeuge – besonders in engen Straßen – fast nie als solche erkannt werden, bröckelt das Verständnis für die Entscheidungen der Sensoren sehr schnell. Der Pilot bremst dann ständig ab und sorgt dafür, dass die Person am Steuer des Autos hinter einem selbst die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Man fragt sich, wie dieses System in chinesischen Millionenstädten funktionieren soll.

Kein Car Play im Nio ET7

Auch das Navigationssystem enttäuscht in einigen Punkten: Es gibt keine Möglichkeit, zwischen unterschiedlichen Kartenansichten wie einer Satellitenansicht zu wechseln. Der schwarze Hintergrund der Karte ist gewöhnungsbedürftig, jedoch alternativlos. Denn aufgrund der fehlenden Integrationsmöglichkeit von Android-Auto oder Apple Car Play ist die Nutzung bekannter Karten-Apps ebenso wenig möglich wie die Spiegelung des eigenen Mobiltelefons an sich.

Fehlende Knöpfe, gute Schnelleinstellungen

Wenig verwunderlich geizt Nio wie viele andere Hersteller im Innenraum mit Knöpfen. Der Trend zu einem möglichst cleanen Erscheinungsbild dominiert auch im ET7. So fehlen Knöpfe für das schnelle Justieren der Außenspiegel oder der Lautstärke. All das läuft über die Tasten am Lenkrad. Gut gelungen ist das intuitive Schnellmenü, das sich durch eine Wischbewegung von links nach rechts auf dem zentralen Display öffnen lässt. Hier kann man eine Vielzahl von Fahrzeugfunktionen steuern, darunter:

  • Lenkrad- und Spiegelposition einstellen
  • Seitenspiegel ein- und ausklappen
  • 360°-Kamera aktivieren
  • Ladebox öffnen
  • Ambiente-Beleuchtung anpassen
  • Head-up-Display ein- und ausschalten
  • Beifahrersitzverstellung
  • Klangmodus konfigurieren, wobei zwischen verschiedenen Optionen wie "Surround", "Alle", "Hinten", "Vorne", "Fahrersitz" und "Theater" gewählt werden kann.

Zudem gibt es einen Anpassen-Button, über den weitere Widgets individuell hinzugefügt werden können. Diese Umsetzung ist gelungen und intuitiv. Das 12,8-Zoll-Center-Display selbst verfügt über ein Kontrastverhältnis von 100.000:1 und eine hohe Auflösungsrate von 1.728 mal 1.888.

Der Sound im ET7 ist premium

Besonders beeindruckend ist die Soundqualität des ET7. Egal ob Klassik, Rock oder elektronische Musik – der Klang ist kristallklar, der Bass kraftvoll, und der Surround-Sound sorgt für ein immersives Hörerlebnis. Grundlage dessen sind vier Overhead-Lautsprecher und einen Subwoofer. Die vier Haupt-Soundkanäle haben jeweils einen Drei-Wege-Lautsprecher, der einen Hochtöner, einen Mitteltöner und einen Tieftöner. Das System basiert auf der Dolby Atmos-Technologie und führenden Dirac Pro-Raumaudioalgorithmen.

Wie gut ist die Reichweite beim Nio ET7?

Beim kritischen Thema der Reichweite zeigt sich ein großes Problem: Die offiziell angegebene Reichweite verringert sich in der Praxis deutlich, insbesondere bei höheren Geschwindigkeiten. Bereits bei mehr als 115 km/h auf der Autobahn sinkt die Reichweite rapide. Zwar passt das Navigationssystem die Routenplanung dynamisch an, doch auf langen Strecken führt das oft zu unerwarteten Verzögerungen. In unserem Test mussten wir statt der ursprünglich geplanten zwei Ladestopps plötzlich fünf Mal nachladen – nur weil wir schneller als 115 km/h gefahren sind.

Auch die Ladeleistung des ET7 bleibt hinter den Erwartungen zurück: Trotz Vorkonditionierung der Batterie erreichte das Fahrzeug in unserem Test maximal 120 kW. Ein Ladevorgang auf maximal 70 Prozent Akkustand dauerte jedes Mal weit mehr als 30 Minuten – ein enttäuschendes Ergebnis für ein Fahrzeug dieser Preisklasse.

Battery Swap: Zwischen Himmel und Hölle

Nio bewirbt sein Battery Swap System als eine revolutionäre Alternative zum klassischen Laden – in der Theorie soll der Batteriewechsel in wenigen Minuten erfolgen und lange Ladezeiten überflüssig machen. Zweimal klappte dies auch in unserem Test reibungslos. In deutlich unter zehn Minuten waren wir fertig und hatten wieder eine zu 90 Prozent geladene Batterie im Unterboden. Der erste Versuch dagegen scheiterte kolossal.

Womöglich auch aufgrund verdreckter Sensoren und Kameras funktionierte das automatische Einparken in die Tauschgarage nicht. Doch weder eine Reinigung der Kameras noch wiederholtes manuelles Justieren der Parkposition führte zum Erfolg. Trotz dreier Telefonate mit dem Nio-Kundenservice – sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch – gelang es uns nach einer Stunde nicht, den Tauschvorgang zu starten. Am Ende mussten wir doch auf eine herkömmliche Ladesäule ausweichen. Die ursprünglich eingeplanten fünf bis zehn Minuten Stop für den Batteriewechsel verlängerten sich zu einer Zwangspause von knapp zwei Stunden.

Selbst wenn dies nur ein Einzelfall war, zeigt er eine strukturelle Schwäche: Vertraut man auf dieses System und plant seine Route entsprechend, kann eine einzige Fehlfunktion das gesamte Reiseerlebnis ruinieren.

Nomi: Eine nette Spielerei, aber keine echte Hilfe

Ein besonderes Feature des Nio ET7 ist Sprachassistent Nomi, der als kleine Figur mit animierten Augen auf dem Armaturenbrett platziert ist. Dieser reagiert auf Ansprachen und stellt sogar visuelle Mimiken dar – etwa ein Gitarre spielendes Emoji, wenn Musik abgespielt wird. Nomi werde ständig weiterentwickelt, intelligenter und verstehe immer besser. Mit vier Mikrofongruppen und einem speziellen NPU-Kern verfügt Nomi über eine Spracherkennung mit exakter Stimmlokalisierung, um eine lückenlose Interaktion zu ermöglichen – behauptet der OEM.

Doch trotz der verspielten Darstellung ist die Sprachsteuerung wenig zuverlässig. Einfache Befehle werden oft nicht erkannt oder müssen mehrfach wiederholt werden. Besonders absurd: Internet-Suchanfragen liefern fehlerhafte Antworten. Auf die Frage nach dem aktuellen Champions-League-Spielstand des FC Bayern erhielten wir eine völlig falsche Tabellenplatzierung sowie die Information, dass Lionel Messi für Paris Saint-Germain spielt – was seit Jahren nicht mehr der Fall ist.

Fazit: Licht und Schatten beim Nio ET7

Sobald es um fein abgestimmte Assistenzsysteme, Reichweite und Ladeverhalten geht, zeigen sich deutliche Schwächen. Positiv hervorzuheben sind das hochwertige Soundsystem, die gut durchdachte Schnellmenü-Funktion und die visuelle Darstellung der Assistenzsysteme. Doch wer auf entspanntes assistiertes Fahren, eine hohe Ladeleistung oder eine absolut verlässliche Battery Swap-Station hofft, könnte enttäuscht werden. Für Technik-Enthusiasten mit einer hohen Frustrationstoleranz könnte der ET7 eine spannende Alternative sein – für Vielfahrer, die auf eine 100 Prozent verlässliche Infrastruktur angewiesen sind, dürfte es andere Alternativen geben.

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