
Speziell moderne E-Autos, die noch dazu via OTA-Update auf dem neuesten Stand gehalten werden, bieten viel digitales Umsatzpotenzial. (Bild: Adobe Stock / sofiko14)
Geringere Servicekosten bei besserer Customer Experience und dabei neue Einnahmequellen erschließen? Klingt gut. Durch neue digitale Geschäftsmodelle im Aftersales-Bereich wäre das machbar. Doch die Autoindustrie lässt noch viel von dem Potenzial liegen. Unverständlich, denn hier werden nach Schätzungen bis zur Hälfte des Gewinns von OEMs erwirtschaftet.
Stattdessen sind Kunden und Betriebe von ineffizienten Prozessen genervt, weil Serviceanfragen, Termine und Ersatzteilbestellungen immer noch manuell bearbeitet werden, was zu Verzögerungen und Fehlern führt. Es mangelt an einer umfassenden Datenintegration, etwa aus Teilebestandsverwaltung, Service und Kundendaten.
Nicht verwunderlich, dass eine aktuelle Studie der Dekra und des Marktforschungsinstituts Ipsos den Finger in die Wunde legt, nach der Kunden mehr Digitalisierung in Werkstätten erwarten. Vor allem bei der Terminvereinbarung und bei Online-Informationen zum aktuellen Stand von Service- oder Reparaturarbeiten. „Hier klafft zwischen Nachfrage und Angebot eine gewaltige Lücke“, monieren die Studienautoren. „Mehr und mehr Autofahrerinnen und -fahrer haben Interesse an Online-Angeboten“, sagt Guido Kutschera, Vorsitzender der Geschäftsführung der Dekra Automobil GmbH, „Gleichzeitig besteht weiter der Wunsch nach dem persönlichen Kontakt. Für die Betriebe bedeutet das: Beide Kanäle sind wichtig und müssen bestmöglich zusammengebracht werden.“
Hier haben Autobauer Nachholbedarf
Dass das der Branche schwerfällt, notiert auch Jürgen Padberg, Global Head of Automotive & Manufacturing Industries bei der Detecon International GmbH: „Wie in mehreren anderen Bereichen, hängt die Automobilindustrie auch im Bereich Aftersales anderen Industrien hinterher.“ Das beziehe sich nicht nur auf die Nutzung digitaler Möglichkeiten für Online-Auftritte der OEMs, Händler und Werkstätten für die Kundenakquisition und -betreuung, sondern auch auf den Einsatz digitaler Technologien zur Automatisierung von Prozessen in der Werkstatt und der Vorbereitung sowie Nachbereitung von Aufträgen.
„Eine wesentliche Ursache für die nur zögerliche Adaption digitaler Möglichkeiten ist die noch immer schwach ausgeprägte Customer Centricity“, attestiert der Experte. Viele Prozesse im Aftersales würden noch immer aus Sicht der „Spezialisten“ aufgesetzt, also von den Technikern, die Ersatzteile managen und Reparaturanweisungen schreiben beziehungsweise von den Kfz-Mechanikern, die in der Werkstatt die Reparaturen vornehmen. „Hier steht noch immer das Fahrzeug und seine Technik im Mittelpunkt – deutsche Ingenieurskunst und Effizienz anstatt Customer Experience“, sagt Padberg und fordert: „Den Hebel muss man daher vor allem am Mindset der involvierten Akteure ansetzen. Denn erfolgreiche digitale Transformation ist nur 20 Prozent Technik und zu 80 Prozent Change.“
E-Autos und OTA-Updates pushen den Wandel
Diesen Change treibt die Transformation der Branche notgedrungen an. „Die Automobilindustrie konzentriert sich zunehmend auf die Elektrifizierung, was die Gleichung verändern kann, wenn es um die Betriebszeit der Kunden geht“, erklärt Sumair Dutta, Vice President, Product Marketing, bei dem US-Softwareanbieter PTC zuständig für Service Lifecycle Management (SLM). Zwar müssten Elektrofahrzeuge im Vergleich zu herkömmlichen mit Verbrennungsmotor weniger häufig gewartet werden, wodurch per se Ausfallzeiten reduziert würden. Doch auch sie müssen in die Werkstatt. Und genau da biete die erhöhte Telemetrie in Fahrzeugen neue Möglichkeiten, um die Datenerfassung und -analyse in Echtzeit für proaktive Wartung und personalisierte Services zu nutzen, was das Kundenerlebnis verbessern könne.
„Darüber hinaus können Over-the-Air-Fixes eingeleitet werden“, sagt Dutta. „Oder Kunden können auf nutzungsabhängigere Wartungsanforderungen hingewiesen werden, im Gegensatz zu statischen, zeitbasierten Intervallen.“ Außerdem könne die Ersatzteilplanung verbessert werden, so dass es zu weniger Verzögerungen bei der Beschaffung kommt. „Schließlich ermöglichen digitale Serviceanweisungen und -informationen, die über mobile Geräte zugänglich sind, Kunden, Mechanikern, Händlern und Technikern, Reparaturen effizienter durchzuführen und die Betriebszeit weiter zu verbessern.“
Bringt KI einen Boost für den Aftersales?
Basis hierfür ist ein ausgefeiltes SLM, das Ersatzteil-Management, technische Kommunikation, Service-Außendienstmanagement und Produkt-Support vernetzt. Es ist nicht so, dass diese Botschaft die Branche nicht längst ereilt hätte – es mangelt bei der Tiefe der Umsetzung. Dabei brandet die nächste Transformationswelle bereits auf: „Die Automobilindustrie befindet sich im Aftermarket-Bereich in einem tiefgreifenden digitalen Wandel: Die Ersatzteilplanung ist durch den Einsatz von Datenanalysen und künstlicher Intelligenz zur Vorhersage des Bedarfs und zur Optimierung des Lagerbestands ausgefeilter geworden“, erklärt Dutta, „Unternehmen verlassen sich auch zunehmend auf Gerätedaten, die manuell oder per Telemetrie erfasst werden, um KI-gesteuerte vorausschauende Wartungspläne zu erstellen.“
Das steigere die Zuverlässigkeit, optimiere Wartungskosten und sorge für eine höhere Kundenbindung. Und: „Wir sehen einen Trend hin zu digitalem Wissen und Arbeitsanweisungen, die es Technikern, Händlern oder Direktkunden ermöglichen, auf detaillierte Reparaturanleitungen, Schulungsmaterialien und aktualisierte Teileinformationen zuzugreifen.“
Software-Defined Vehicle eröffnet neue Geschäftsmodelle
Für Padberg steht fest: „Der Customer Service in der Automobilindustrie nähert sich durch die Digitalisierung der Fahrzeuge immer mehr dem anderer Branchen an.“ Folge: Das Customer Interaktion Center zur Beantwortung von Fragen rund um die Nutzung der digitalen Features im Auto und um das Auto herum nehme stark an Bedeutung zu. Damit würden auch die digitalen Möglichkeiten für die Gestaltung der digitalen Kundeninteraktionen in einem Service Center immer relevanter.
Angefangen bei der Unterstützung von Online-Kommunikation in Self-Service Portalen über die digitale Unterstützung von Call Center Agenten, unter anderem durch KI-gestützte Analyse von Kundenanfragen per Email oder Sprachnachrichten, bis hin zu KI-Bots, die weite Teile der Kundenkommunikation komplett übernehmen können. „Hier gibt es erste Ansätze der OEMs“, so Padberg, „aber im Vergleich etwa zu Banken und Versicherungen oder Telekommunikationsunternehmen, wo der Customer Service schon immer den Kontakt zu einem Customer Care Center bedeutete, lässt der Reifegrad des Einsatzes digitaler Möglichkeiten – insbesondere auch von KI – in der Automobilindustrie noch stark zu wünschen übrig.“
Nicht zuletzt bietet das softwaredefinierte Fahrzeug etliche neue Erlösquellen jenseits des eigentlichen Verkaufs. Allein durch Software-Updates Fahrzeug-Funktionalitäten hinzuzufügen zu können, entstünde ein neuer Zweig im Automotive Aftersales, so Padberg: Das erschließe zusätzliches Geschäftspotenzial durch digitale Nachrüstung (Feature on Demand) und neue Arten von Werkstattleistungen. „Die Möglichkeit des automatischen Updates Over-The-Air wird zunehmend zum Standard, aber auch da ist der Markt langsamer als erwartet“, bedauert Padberg, „Bei den meisten derzeit im Markt befindlichen Fahrzeugen – auch neuerer Bauart – bedeutet ‚OTA‘ noch immer ‚Over-The-Autohaus‘.“