Eine Illustration eines Fahrzeugs in der Vogelperspektive, das mit verschiedenen Datenschnittstellen versehen ist.

Nach Schätzungen von Marktbeobachtern kommen heute rund 80 Prozent der Innovationen im Automobilbereich aus dem Bereich der Software. (Bild: Whitecityrecords/Adobe Stock, Andreas Croonenbroeck)

Alles wandelt sich und das auch noch in rasendem Tempo: Von allen Industriezweigen muss die Automobilbranche gegenwärtig die krassesten Anpassungen stemmen. Das Geschäftsmodell ändert sich – statt als Anbieter von Autos verstehen sich die Unternehmen zunehmend als Anbieter von Mobilität. Die Produkte werden von Grund auf umgekrempelt – wo früher ein mehr oder weniger sonores Summen des Verbrennungsmotors und die Kurvenlage des Fahrzeugs als Differenzierungsmerkmal diente und somit als Entwicklungsziel vorgegeben war, müssen künftige Autos nicht nur mit ganz anderen Antriebskonzepten entwickelt werden.

Noch wichtiger: Sie tauschen kontinuierlich Daten mit Backend-Servern des Herstellers und anderer Dienstleister aus und sie dienen zeitlebens als Verkaufskiosk für neue Funktionen und Software-Gadgets ihrer Hersteller. Dazu kommt die gesetzliche Verpflichtung, die Abwehr dieser rollenden Computer gegen Cyberangriffe jederzeit aktualisieren zu können. All das macht sie zum Frontend einer auch jetzt schon sehr komplexen IT-Infrastruktur, die zudem nun auch noch eilig umgebaut werden muss. Wo also soll die Reise hingehen?

Bei diesem Umbau gilt das Primat der Prozesse, macht Marcus Gloger deutlich. Gloger ist Partner beim Beratungsunternehmen Strategy& im PwC-Firmennetz. Primat der Prozesse, das bedeutet, dass beim Design jeder IT-Infrastruktur zunächst klar sein muss, welchem Zweck diese Infrastruktur eigentlich dient, welche Prozesse sie abbildet. „Was muss die IT-Abteilung eines OEM leisten: Die IT-Infrastruktur global erstellen und betreiben – oder Unternehmensprozesse verstehen und entsprechend orchestrieren?“, fragt Gloger rhetorisch. Damit ist auch schon die Antwort klar: „Es ist ganz klar Letzteres, es kann nur die Prozesssicht geben.“

IT muss ganze Mobilitätskette abbilden

Ein Beispiel? Autos, so Gloger, würden aus Sicht der IT zu „Mobilitätscontainern“. Und in einem integrierten Mobilitätskonzept werden Autos nicht die einzigen Elemente sein – es gilt, mit der IT die gesamte Mobilitätskette abzubilden. Glogers Hinweis auf den Vorrang der Prozesse mag naheliegend erscheinen – unnötig ist er keineswegs. Denn wie der Experte beobachtet hat, beschäftigen sich aktuell noch viele IT-Manager zu sehr mit Detailfragen, mit PCs, Laptops, Servern und dergleichen. „IT ist eine klar strategische Frage – die technische Umsetzung kann man lösen.“

Die neuen Szenarien sehen die Verschmelzung der klassischen Unternehmens-IT mit der fahrzeugseitigen Datentechnik vor. Die Anbindung der Fahrzeuge an das Backend und die Aftersales-Betreuung müssen mit den enormen Mengen an Daten verbunden werden, die aus den Fahrzeugen geliefert werden. „Die Problematik erfordert eine End-to-End-Abdeckung bis zum Endanwender. Das muss sich zuerst in der Organisation manifestieren; die Struktur ist wichtiger als die Technologie“, kommentiert Thomas Braunmiller, beim Softwareanbieter Oracle für das Thema Business Value Automotive zuständig. Als jemand, der zuvor bereits bei Daimler in der IT beschäftigt war, kennt er die Problematik auch aus der Innensicht. „Die Technik ist da – sie effizient einzusetzen erfordert aber entsprechende organisatorische Maßnahmen“, so Braunmiller.

Software macht Großteil der Innovationen aus

Nach Schätzungen von Marktbeobachtern kommen heute rund 80 Prozent der Innovationen im Automobilbereich aus dem Bereich der Software – sowohl in den Fahrzeugen selbst als auch in der Infrastruktur zur Bereitstellung der damit verbundenen Daten. Eine Anwendungskategorie, die zurzeit gerade Fahrt aufnimmt, sind die automatisierten Softwareupdates, die künftig regelhaft an die Fahrzeuge gefunkt werden und die eine enge Verzahnung zwischen verschiedenen Instanzen der Unternehmens-IT und den Fahrzeugen zwingend erforderlich machen.

„Dann erst können Over-the-Air-Updates, Funktionsdownloads und Onlineservices aus dem Backend heraus sinnvoll funktionieren“, sagt Ralf Blessmann, Leiter des Automotive-Sektors bei Capgemini Deutschland. „Finale Ausbaustufe muss eine Art Digital Twin sein, ein individuelles digitales Abbild eines jeden Fahrzeugs, um jedes Fahrzeug perfekt zu flashen. Das erfordert eine Abstimmung über die gesamte Organisation eines Automobilherstellers hinweg.“

Während angesichts rapide wachsender Datenmengen und erhöhter Erwartungen an die rasche Umsetzung neuer Konzepte der Weg in die Public Cloud und zu Hyperscalern wie Amazon oder Microsoft vielfach als Königsweg wahrgenommen wird, gibt es auch gegenläufige Tendenzen. Für manche Anwendungsbereiche lohnt sich sogar eine Repatriierung von Anwendungen. Also die Rückführung von Anwendungen, die gegenwärtig in der Public Cloud ablaufen, in das eigene Hoheitsgebiet in Form einer Private Cloud.

„Gut verstandene Anwendungen, die keinem schnellen Lebenszyklus und keinen saisonalen Schwankungen unterliegen und bei denen die Skalierung von untergeordneter Bedeutung ist, sind mit den richtigen Parametern im eigenen Serverzentrum oder in der Private Cloud kostengünstiger zu betreiben“, so Gutjahr. Eine weitere Kategorie von Repa­triierungskandidaten umfasst jene Daten- und Anwendungsbestände, die aufgrund von Datenschutzregelungen oder zur Verteidigung von Geschäftsgeheimnissen nicht in einer Public Cloud mit unkontrollierbarem Speicherort gehostet werden sollen.

Das letzte, noch relativ neue Szenario für eine Repa­triierung sind hochintegrierte Spezialplattformen. „Das ist aktuell für High-Performance Computing und in Teilen für KI zu beobachten, bei dem noch wenige Hersteller bis in das Chipdesign gehen“, sagt Gutjahr. „Es gibt heute nur ein Element, das man nicht einem Hyperscaler überlassen kann – und das ist Cybersecurity“, präzisiert Strategy&-Experte Marcus Gloger. Das schließe auch den Aspekt der Legalität ein.

Cybersicherheit wird Top-Thema

Ebenso setzt die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der Speicherung personenbezogener Daten außerhalb des DSGVO-Geltungsbereichs enge Grenzen. Überhaupt wird Cybersicherheit immer wichtiger – auch ihre Kontrolle und Bewertung über die gesamte Lieferkette hinweg. „Für OEMs hat das Thema mittelfristig eine teilweise ungeahnte Tragweite“, warnt Gloger.

Eines ist jedenfalls klar: Die Infrastruktur, wie auch immer sie aussieht, wird sehr viel mehr Daten zu speichern und zu verarbeiten haben als heute. Denn die gewünschten neuen Funktionalitäten und Fähigkeiten erzeugen neue Daten-Ökosysteme – für Shared Mobility, für die beschleunigte Produkt- und Softwareentwicklung und die Aftersales-Anbindung. „Einfach nur viele Daten zu haben, macht nicht reich – man muss sie auch nutzen können“, sagt Ralf Blessmann von Capgemini. Dazu werden Analysetools und KI für die Hersteller an Bedeutung gewinnen. Zurzeit bauen die deutschen OEMs mit Hochdruck entsprechende Organisationen auf. „Und damit landen wir beim Thema Talente. Spezialisten sind gefragter denn je. Wir müssen aufpassen, dass wir in Deutschland nicht gerade an dieser Stelle einen zu großen Mangel bekommen“, so Blessmann.

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