Bei Volkswagens eigener Software-Tochter Cariad holpert es beträchtlich, die Wolfsburger haben sich darum mit der Samsung-Tochter Harman als Alternative verbündet

Bei Volkswagens eigener Software-Tochter Cariad holpert es beträchtlich, die Wolfsburger haben sich darum mit der Samsung-Tochter Harman als Alternative verbündet. (Bild: Cariad Group)

Was waren das doch für goldene Zeiten: Die Autohersteller der Welt durften sich bis vor einigen Jahren noch praktisch unantastbar fühlen – wer es mit viel Arbeit, niedrigen Preisen und etwas Glück in den Kreis der Zulieferer geschafft hatte, der durfte seine wegweisende Allrad-Technik, belüftete Massagesitze oder Zehngang-Automatik einbauen lassen. Kontakt zum Endkunden, also Otto Normalfahrer, war hingegen streng verboten. Die Lorbeeren für tolle Technik heimsten in der Öffentlichkeit allein die Chefs der jeweiligen Automarke ein.

Die Zeiten sind vorbei. Zumindest, wenn es um die neue Welt der digital vernetzten Dienste geht: Da werben fast alle Hersteller beinahe demütig damit, dass ihre Autos Amazons Alexa aufs Wort verstehen, Android Auto an Bord haben oder mit Apples Siri ganz dicke sind. Apple und Google-Mutter Alphabet haben es so ermöglicht, die beliebtesten unter Millionen Smartphone-Apps auch über das im Auto montierte Display zu nutzen. Das können Navigations-Programme und Audiostreaming-Apps sein. Auch WhatsApp oder Threema lassen sich sprachgesteuert nutzen – und die gewohnte Telefon-Anwendung des Handys nebst Kontaktliste. Nebenbei funktionieren die Fahrzeuge noch als rollende Datensammel-Maschinen für die nächsten Milliardenumsätze der Tech-Firmen. Die Verbraucher lieben all die Apps schließlich als tägliche Begleiter auf ihren Smartphones.

Hersteller-eigene Plattformen hängen beim Nutzererlebnis zurück

Eigene Infotainment-Lösungen der Autoriesen, um an Apple CarPlay oder Android Auto vorbeizukommen, haben sich bisher nicht so recht durchgesetzt. Das vom Handy gewohnte Nutzererlebnis, die riesige App-Auswahl und die blitzschnelle Reaktion auf neue User-Interessen ist einfach zu hoch für die branchenfremden und dementsprechend schwerfälligen Autoriesen. Bis dort das nächste Update auf einem Infotainment-Bildschirm im Auto eines Herstellers gelandet ist, sind die Tech-Firmen bei ihren vergleichbaren Entwicklungen meist schon ein paar Generationen weiter. Am offensichtlichsten ist das bei Navigations-Software oder neuen Apps wie TikTok, die gerade beliebt sind.

Darum wollen Hersteller wie Volvo oder Renault am liebsten mit Apple oder Alphabet ganz tiefe Bindungen eingehen und sie auch auf die technische Fahrzeugarchitektur loslassen. Das hat gerade auch in der neuen Welt der Elektroautos seine Vorteile: Denn für die exakte Berechnung von Navigation und Ladepausen braucht es wegen der vielen Einflussfaktoren wie Reifendruck, Temperatur oder Ladezustand Zugriff auf viele Daten tief im Fahrzeug, etwa den Batteriestand.

Viele Hersteller wollen aber den Technologieunternehmen nicht so freigiebig Zugriff auf die ureigenen Daten zum Fahrverhalten gewähren. Und Tesla oder Nio lehnen selbst die Integration von Apple CarPlay und Android Auto kategorisch ab. Sie wollen selbst Herren über die Daten bleiben – und allen Geschäften, die sich damit machen lassen. Auch der US-Gigant General Motors will bald die Auto-Integration für iPhone und Android-Smartphones verbannen – zumindest, wenn es sich um neue Elektro-Fahrzeuge handelt. Stattdessen will der Konzern seine Cadillac, Chevrolet oder Buick auf eine selbst entwickelte Software-Plattform mit tiefgreifender Verknüpfung zum Datenfluss aus Batterie, Motor oder Rädern setzen.

Harman Ignite soll OEMs die Arbeit mit Drittanbietern erleichtern

Auch Volkswagen möchte für all seine Marken so eine eigene Plattform aufbauen. Dazu haben die Wolfsburger die Software-Tochter Cariad gegründet. Bisher holpert es da jedoch beträchtlich, komplette Plattformen haben großen Zeitverzug. Bei den Apps hat sich VW darum mit Harman als Alternative verbündet: Die Samsung-Tochter, eher bekannt für Soundsysteme wie JBL, Harman-Kardon oder Infinity, hat dazu einen eigenen App-Store aufgebaut. Der von Harman entwickelte „Ignite Store“ basiert auch auf Android Automotive. Die Fahrzeughersteller bauen aber ein Stück Hardware namens Ignite in ihr Infotainment-Tool ein; auf dem laufen dann prinzipiell alle Android-Apps, die für die Automotive-Version des Google-Betriebssystems ausgelegt sind und auf den unterschiedlichsten Bildschirmformaten optimal aussehen.

Vorteil der Kooperation: „Wir stellen bereits vorab zusammen mit dem Inhaltsanbieter und App-Entwickler sicher, dass Applikationen sicher in den Ignite Store integriert und die Anforderungen des automobilen Umfelds in Sachen Sicherheit, Datenschutz und Vermeidung von Ablenkung des Fahrers erfüllt werden“, erklärt Albert Jordan, Chef des Harman Ignite Store. So nehme Harman den Autoherstellern einen großen Teil der Arbeit ab, wenn es um Anwendungen von Drittanbietern geht – und die Autofahrer können sicher sein, dass ihre Daten aus dem Fahrbetrieb nicht an unbefugte Dritte weitergehen oder Hacker das Infotainment als Einfallstor ins Auto nutzen. Über Ignite sollen Kunden später zusätzlich auch exklusive Angebote der Autofirmen bekommen können; zum Beispiel erweiterte Assistenzfunktionen oder bessere Lichtsysteme. Die könnte der Autobesitzer auch nur für bestimmte Zeit mieten – etwa im Winter oder auf Urlausreise.

Harman hat für seine standardisierte Plattform auch ein eigenes Entwicklerportal eingerichtet, um die Entwicklung und Bereitstellung von Apps im Fahrzeug zu beschleunigen. Alles stets im gewohnten Erscheinungsbild, dass der jeweilige Hersteller für seine Marke ausgewählt hat. „Im Hinblick auf das Nutzererlebnis haben Fahrzeughersteller bei der Verwendung von eingebetteten Lösungen wie dem Ignite Store die volle Kontrolle über das Erscheinungsbild und die Handhabung des eigenen Application-Stores“, sagt Jordan dazu. Allerdings wird es auch nicht wenige Autofahrer geben, die eher das Erscheinungsbild einer App auf ihrem Smartphone wiederfinden wollen als eine Fiat-, BMW- oder Skoda-spezifische Ausgabe von WhatsApp, Spotify oder Facebook. Da ist also Fingerspitzengefühl der Touchscreen-Designer gefragt.

Google und Apple lassen Autohersteller nicht an zentrale Apps

Auch BMW und Mercedes-Benz basteln derzeit zusammen mit dem französischen Harman-Konkurrenten Forvia an ähnlichen App-Plattformen auf Android Automotive-Basis. Und der Volkswagen-Konzern ist gerade mit ersten Audi-Modellen in seinen Harman-basierten Appstore gestartet. Dort gibt es zu Beginn der Harman-Ignite-Lösung aktuell rund 40 Apps. Darunter sind Musikdienste wie AmazonMusic oder Mediatheken wie die ARD-Audiothek. Wer allerdings zu Hause über die WLAN-Lautsprecher oder auf dem Smartphone Musik über radio.de hört, sein Wetter bei WeatherPro abruft oder per Threema chattet, wird die gewohnten Apps vorerst nicht vorfinden.

Und ganz verzichten müssen die Ignite-Nutzer auf die Apps von Google wie Maps oder Gmail. Denn genau wie Apple lässt der Tech-Gigant auch die Autohersteller nicht an die zentralen Apps aus dem eigenen Haus. Der Kampf um die digitale Heimat im Fahrzeug geht also noch eine ganze Weile weiter. Der Autokäufer ist da am besten beraten, wenn er auch beim nächsten neuen Modell zumindest zusätzlich AndroidAuto oder Apple Carplay einrichten kann. Sonst wird Siri sauer.

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