Bildschirm mit den Strategieplänen vom Elektro-Startup Pony.ai

Pony.ai testet im Distrikt Yizhuang auf 60 Quadratkilometern die autonome Mobilität. (Bild: Adobe Stocke / Wirestock)

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Hochautomatisierte Fahrzeuge gelten als der nächste heilige Gral in der Automobilindustrie. Die Weiterentwicklung von fortgeschrittenen Fahrassistenzsystemen bis hin zum autonomen Fahren kann zukünftig eine bedeutende Umsatzquelle für die Automobilindustrie werden, so eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey & Company, die zur Consumer Electronics Show 2023 in Las Vegas vorgestellt wurde. Mit einer jährlichen Steigerung von 15 bis 20 Prozent werde der Markt für Fahrassistenzsysteme und autonomes Fahren von heute rund 50 Milliarden US-Dollar auf 300 bis 400 Milliarden US-Dollar im Jahr 2035 wachsen. Der größte Teil des Umsatzes entfalle dann auf Level 4-Funktionen, also das fahrerlose Fahren unter bestimmten Bedingungen. Das Interesse der Kunden ist groß, auch in China.

Und doch sind die Unterschiede auf technisch-politischer Ebene zwischen dem Reich der Mitte und dem Westen enorm. „In den USA und Europa verfolgt die Branche einen On-Board-Ansatz, sie will die maximal mögliche Intelligenz ins Fahrzeug packen“, sagt Volkmar Tanneberger, Branchenexperte und ehemaliger Leiter der Technischen Entwicklung bei Volkswagens China-Joint-Venture mit SAIC. „Für die dortigen Tech-Player ist das Auto die letzte Bastion, die noch nicht vollständig erreichbar ist für Data Analytics.“

China verfolgt strikten Expansionskurs im autonomen Fahren

Die US-Tech-Player wollen Daten primär im Fahrzeug auswerten. „Dagegen verfolgt China den Ansatz eines Ökosystems, in dem das Backend viel mächtiger ist“, so Tanneberger weiter. Es gibt dafür durchaus technische Argumente und Chinas massive Verkehrsprobleme in den Metropolen dürften durch ein zentrales System leichter zu managen sein, der Ansatz kommt aber auch politisch nicht ungelegen: Der Staat hat ein Interesse daran, seine Bürger engmaschig zu überwachen, was mit einem cloudbasierten Ansatz viel einfacher umzusetzen ist. Zudem gelten Geodaten, ohne die kein autonomes Fahrzeug auskommt, in China als hochsensibel.

Johannes Deichmann, Partner bei McKinsey, geht davon aus, dass jeder OEM, der beim autonomen Fahren mitmischen will, zwei Software-Stacks vorhalten muss: einen für China und einen für den Rest der Welt. Deichmann leitet McKinseys Automotive-Softwareinitiative in EMEA. „Es ist offen“, sagt er, „wie stark sich diese beiden Stacks unterscheiden werden“ – und damit sind die Kosten unklar, die für die OEMs mit dieser Zweigleisigkeit verbunden sind. Volkmar Tanneberger befürchtet, dass oberhalb der Sensorik-Ebene vieles bei den beiden Stacks „komplett anders“ sein wird. „Gerade in der Entwicklung und Integration der Protokolle sowie in der Systempartitionierung steckt jedoch der Aufwand eines OEM.“

Die chinesische Regierung sieht im autonomen Fahren einen Schlüsselfaktor für die Mobilität der Zukunft und fördert das Segment entsprechend. So gibt es zum Beispiel vier Cluster unter der Führung chinesischer Unternehmen, die wichtige Bereiche des autonomen Fahrens bearbeiten sollen und regelmäßig über die Fortschritte berichten müssen. Zudem berichtet Sun Wenjian, Sprecher des Transportministeriums, dass inzwischen sieben Testgebiete für autonomes Fahren eingerichtet wurden. So sollen auch möglichst viele Startups die Chance bekommen, ihre Robotaxis zu realen Bedingungen auszuprobieren.

Wie gehen Chinas Tech-Konzerne das autonome Fahren an?

Den klaren Vorteil der Tech-Firmen im technikaffinen Asien hebt unter anderem Foxconn-Konzernpräsident Young Liu hervor: Bei Fachwissen zu Software und Computerchips sei Foxconn vielen traditionellen Autobauern voraus. Die Elektroautos der Zukunft stecken voll intelligenter Technologie, sie sind vernetzt, haben riesige Touchscreens im Cockpit, können vieles selbst — traditionelle Elemente wie Karosserie oder Motor spielen aus Sicht der Tech-Player und vieler Kunden in China dagegen nicht mehr die Hauptrolle.

Baidu-Chef Robin Li beschrieb es so: „Wir glauben, dass die Autos der Zukunft Robocars sein werden. Das Robocar wird nicht nur Ihr Fahrzeug sein, sondern auch Ihr Fahrer, Ihre Sekretärin und Ihr persönlicher Assistent.“ Die Autos werden laut Li kommunizieren und lernen. In Baidus Vision ist der künftige intelligent gesteuerte Verkehr das Ergebnis einer tiefen Integration von Technologien wie künstlicher Intelligenz (KI), 5G und Cloud-Computing in das Transportwesen — vom smarten Auto bis hin zu intelligenten Straßen.

Weil die globale Autoindustrie nach wie vor unter der Halbleiterknappheit leidet, hat sich Foxconn im August 2021 eine Chipfabrik des taiwanesischen Herstellers Macronix International einverleibt. Bis 2024 soll diese Halbleiter für 30.000 Elektrofahrzeuge pro Monat liefern können. Baidu brachte 2018 eigene Chips namens Kunlun auf den Markt. Inzwischen produziert es bereits die zweite Generation dieses Chips. Der Kunlun2-Chip soll Geräten dabei helfen, riesige Datenmengen zu verarbeiten und laut Baidu im autonomen Fahren eingesetzt werden.

Baidu übernimmt Führungsrolle im autonomen Fahren

Der chinesische Internetgigant Baidu darf ebenso wie Elektroauto-Startup Pony.ai bereits seit 2023 in Peking komplett fahrerlose Mitfahrdienste anbieten. Den beiden Anbietern genehmigte China erstmals überhaupt Robotaxis ganz ohne einen Menschen auf dem Fahrersitz. Bei vergleichbaren Pilotprojekten in anderen Städten muss zur Sicherheit stets jemand auf dem Fahrersitz mitfahren — bei dem neuen Projekt in Peking dagegen nur auf dem Beifahrersitz. „Das ist eine qualitative Veränderung. Früher konnte jemand, der hinter dem Steuer saß, sofort übernehmen“, betonte der für die Sicherheit selbstfahrender Autos zuständige Baidu-Vizepräsident Wei Dong in einem Interview mit Bloomberg TV. „Jetzt überlassen Sie es ganz den Maschinen.“

Baidu ist einer der Vorreiter des autonomen Fahrens in China. 2017 schon hatte Baidu die Open-Source-Entwicklungsplattform Apollo für selbstfahrende Fahrzeuge gegründet, der bereits internationale Partner wie Toyota und Volkswagen oder US-Techfirmen wie Intel und Nvidia beigetreten sind. Die einst als Suchmaschine gestartete Privatfirma aus Peking pusht selbstfahrende Autos seit vielen Jahren. Baidu stellt Autoherstellern wie Geely Software zur Verfügung und betreibt unter dem Namen Apollo Go in mehreren Städten — darunter neben der Hauptstadt auch in der Südmetropole Guangzhou — eine Ridehailing-Plattform mit Flotten von Robotaxis. Dazu kooperiert es mit verschiedenen Autobauern wie BYD oder dem Staatskonzern Beijing Automotive (BAIC).  Zudem hat der Tech-Player eine Karten-App für autonome Fahrzeuge entwickelt. Im Herbst 2021 kündigte das Unternehmen zudem die Serienproduktion eines vollelektrischen Roboter-Lastwagens namens Xingtu an.

Diese Tech-Player mischen die chinesische Mobilität auf

Dabei ist Baidu beileibe nicht die einzige Tech-Firma, die den chinesischen Markt für neue Mobilität aufmischt. Auch Internetriesen wie Alibaba oder Tencent bieten Milliarden an Kapital und einiges an Knowhow für das vernetzte Auto der Zukunft. Doch inzwischen wollen so manche Tech-Konzerne auch auf eigene Faust ganze Autos bauen — oder zumindest direkt daran mitwirken. Dadurch hat im Autosektor eine einzigartige Phase der Kooperationen begonnen: Firmen verschiedenster Expertise teilen sich den Bau der Vehikel für die Zukunft: Autobauer, Tech-Firmen, Software-Startups und Batteriehersteller.

Derweil baut der chinesische Elektropionier BYD ein Joint Venture mit dem Tech-Startup Momenta auf, um gemeinsam autonome Fahrtechnologien zu entwickeln. Das Gemeinschaftsunternehmen namens DiPi Intelligent Mobility soll nach Angaben beider Firmen die Expertise von BYD im Automobilsektor mit der Erfahrung von Momenta in Sachen intelligenter Fahralgorithmen kombinieren. Zugleich kooperiert Momenta mit dem Staatskonzern und VW-Partner SAIC: Sie starteten gemeinsam in einem Viertel Shanghais Tests mit öffentlichen Robotaxis.

Für den Telekommunikationsausrüster Huawei wiederum ist der NEV-Sektor (New Energy Vehicles) eine dringend benötigte Alternative für das durch Sanktionen der USA stark angeschlagene Smartphone-Geschäft. Daher lässt Huawei sich auch nicht lumpen und steckt laut Medienberichten eine Milliarde US-Dollar in die Entwicklung von Technologien für Elektroautos und autonomes Fahren. Des Weiteren kooperiert Huawei unter anderem mit dem Ridehailing-Riesen Didi Chuxing. Didi wiederum vereinbarte vor einem Jahr mit Volvo den Aufbau einer selbstfahrenden Testflotte in China.

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