
Markus Lienkamp ist seit 2009 Leiter des Lehrstuhls Fahrzeugtechnik an der TU München. (Bild: TU München)
Herr Lienkamp, welche Fortschritte sehen Sie in der Sensorik, insbesondere in Bezug auf LiDAR, Radar und Kamerasysteme, und wie beeinflussen diese Fortschritte die Genauigkeit und Zuverlässigkeit autonomer Fahrsysteme?
Die Sensorik ist essentiell für die Zuverlässigkeit von autonomen Systemen. Fast alle Hersteller fordern einen Redundanz der Sensorik, sodass bei der Vielzahl an benötigten Sensoren sowohl sinkende Kosten als auch die Leistungsfähigkeit wichtig sind. Beim Lidar sehen wir mit den Solid State Systemen sehr gute Sensoren, die durch die aktive Beleuchtung zuverlässige Erkennung von Objekten ermöglichen. Die Radar-Sensoren nähern sich den Lidar-Sensoren an, weil sie inzwischen mit 4D eine hohe Auflösung in räumlicher Richtung bieten. Bei den Kameras ist die Bildverarbeitung sehr entscheidend. Vielleicht kommen auch Eventkameras zum Zuge, die sehr kurze Erkennungszeiten ermöglichen, weil sie nur auf Bildänderungen wie bei Fußgängern reagieren. Kameras benötigen aber recht viel Rechenleistung. Zudem sind die Algorithmen bei Monokameras nicht so einfach absicherbar, sofern sie auf statistischen Verfahren, sprich neuronalen Netzen basieren. Dennoch sind Kameras unverzichtbar, wenn eine Erkennung von Objekten in der Ferne erforderlich ist. Verkehrszeichen oder Fahrbahnbegrenzungen können nur durch Kameras erkannt werden.
Wie wichtig sind Simulationen für die Entwicklung und Validierung autonomer Fahrsysteme, und welche neuen Methoden oder Technologien werden in diesem Bereich eingesetzt, um realistische und umfassende Testszenarien zu schaffen?
Simulationen sind der Kern, um die Software so weit zu entwickeln, dass sie in Versuchen getestet werden kann. Treten dann Fehler auf, können diese schnell in der Simulation nachgestellt und behoben werden. Seltene Grenzfälle können ebenso in der Simulation gut modelliert und getestet werden. Das Problem ist, diese Grenzfälle zu finden. Die Methoden sind weitgehend bekannt. Wir setzen auf Open Source Lösungen wie Karla und Datensätze wie CommonRoad.
Welche Methoden halten Sie für am vielversprechendsten, wenn es darum geht, Sensordaten zu fusionieren und daraus ein konsistentes Weltmodell für autonome Fahrzeuge zu erstellen?
Da sind wir noch nicht sicher, ob eine frühe oder späte Fusion zielführend ist. Wir probieren unterschiedliche Ansätze aus. Derzeit versuchen wir, Sensoren zu abstrahieren und im Latent Space zu fusionieren. Damit werden wir unabhängiger von einem bestimmten Sensor.
Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz bei der Weiterentwicklung autonomer Fahrsysteme, insbesondere in Bezug auf Entscheidungsfindung und Situationsbewusstsein?
Wir benutzen in Teilalgorithmen auch KI, also neuronale Netzen, die über maschinelles Lernen so trainiert wurden, dass sie die verwendeten Datensätze gut reproduzieren können. Das Problem ist, dass es häufig zu einem Overfitting auf den Datensatz kommt und bei neuen Daten, sprich Situationen, das neuronale Netz versagt. Wir setzen diese Verfahren eher sparsam ein. Zudem haben wir uns dazu entschieden, keine End-To-End Ansätze zu nutzen, sodass wir weiterhin sehr genau wissen, was in jedem Modul passiert.
Wie wichtig sind hochpräzise Karten für autonomes Fahren und welche Fortschritte gibt es bei der Echtzeit-Aktualisierung und der Genauigkeit dieser Karten?
Präzise Karten wünschen sich alle. Und dann noch am besten aktuell. Das ist aber nicht möglich, wenn zum Beispiel Steine auf die Straße fallen, eine Straße abrutscht, im Sommer Autobahnen aufwölben oder Unfälle stattfinden. Deswegen setzen einige Firmen auf die Mapless Autonomy, verlassen sich also nicht auf Karten, sondern finden selbstständig den befahrbaren Bereich. Zumindest als Rückfallebene halte ich das für essentiell.
Welche neuen Entwicklungen sehen Sie bei der Softwarearchitektur autonomer Fahrzeuge, insbesondere in Bezug auf die Modularität und die Integration verschiedener Systeme und Komponenten?
Wir halten uns an die Schnittstellen der Autoware Foundation. Damit können wir gut verschiedenen Ansätze vergleichen.
Welche technologischen Trends werden Ihrer Meinung nach die nächste Stufe des autonomen Fahrens bestimmen und welche Akteure sind hier besonders führend?
Es ist schwer, den Apfel des Paris zu verteilen. Mercedes ist sicher ganz vorne bei Level 3 und wird dieses bald bis 95 km/h freigeben. Dann wird ein Fahren auf der Autobahn auf der rechten Spur über längere Strecken realistisch. BMW hat ein gelungen Level 2-System, das die Blickrichtung überwacht und so auch Spurwechsel ermöglicht. Waymo ist führend beim Robotaxi – allerdings noch recht prototypisch mit sehr vielen Sensoren und kaum profitabel umgesetzt. Torc von Daimler hat sehr gute Ansätze für das Hub-to-Hub Fahren von Lkw, wir sind an ähnlichen Konzepten mit MAN in Projekten unterwegs. Und bei den Startups muss man sich sicherlich Wayve, Fernride aber auch kleinere wie driveblocks anschauen.
Wie bewerten Sie die Bedeutung V2X-Kommunikation für autonome Fahrsysteme, und welche technischen Herausforderungen sehen Sie bei der Implementierung dieser Technologien?
Ich halte V2X für kaum zielführend, weil es seit Jahrzehnten das Henne-Ei-Problem gibt. Auf absehbare Zeit werden einfach nicht alle Fahrzeuge die Technologie zur Verfügung haben.
Welche aktuellen Forschungsprojekte oder Initiativen im Bereich autonomes Fahren halten Sie für besonders vielversprechend, und welche Ergebnisse erwarten Sie in den nächsten Jahren?
Wir versuchen die Technologie über das autonome Rennfahren zu beschleunigen und entwickeln in kürzester Zeit neue Algorithmen, die uns auch im Straßenverkehr helfen. Ich gehe davon aus, dass wir in zwei Jahren einen Formel 1 Fahrer bereits überholen können. Lassen Sie sich überraschen.
Zur Person:
Professor Markus Lienkamp ist ein renommierter Forscher auf den Gebieten Elektromobilität, autonomes Fahren und Mobilität. Er leitet den Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik an der Technischen Universität München (TUM) und war am CREATE-Projekt in Singapur beteiligt. Seine berufliche Laufbahn begann bei Volkswagen, gefolgt von einem Aufenthalt im damaligen Joint Venture zwischen Ford und Volkswagen in Portugal. Anschließend leitete er den Bremsenversuch in der Nutzfahrzeugentwicklung in Wolfsburg. Später war er Hauptabteilungsleiter für „Elektronik und Fahrzeug“ in der Konzernforschung der Volkswagen AG, wo er sich auf Fahrerassistenzsysteme und Fahrzeugkonzepte für die Elektromobilität spezialisierte. Seit November 2009 ist Lienkamp Leiter des Lehrstuhls für Fahrzeugtechnik an der TUM.