Technology

23. Jun. 2025 | 11:55 Uhr | von Michael Vogel

Digitalisierung im Autohandel

Zähe Angelegenheit

Die Digitalisierung des Autohandels kommt nur langsam voran. Kehrtwenden beim Agenturmodell oder die schwierige wirtschaftliche Lage torpedieren den Transformationsprozess.

Skoda metaverse

Autobauer wie Skoda wollen im Metaverse präsent sein, um vor allem junge Kundengruppen mit einem vollständig immersiven Erlebnis anzusprechen - bislang eher ein Gimmick als effektive Verkaufsstrategie. (Bild: Skoda)

Die Digitalisierung des deutschen Autohandels ist bislang weit hinter den Möglichkeiten zurückgeblieben, die vor rund einem Jahrzehnt aufgrund von Pilotprojekten und Technologiedemonstratoren zu erwarten gewesen wären. „Die Transformation kommt nur schleppend voran – mit einigen Vorreitern, aber weiterhin vielen Nachzüglern“, sagt Prof. Stefan Reindl, Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Geislingen/Steige. „Nach unseren Erhebungen liegt der durchschnittliche Digitalisierungsgrad deutscher Autohäuser unter 40 Prozent – und zwar bezüglich des Einsatzes verfügbarer Tools.“

An der Kundschaft liegt es nicht. Bei der gibt es eine wachsende Erwartungshaltung bezüglich eines durchgängigen digitalen Erlebnisses. Reindl stellt fest, dass „insbesondere der Einsatz von Showroom-Technologien nach wie vor unterentwickelt ist, zum Beispiel der Einsatz von Tablets oder QR-Codes“. Immerhin gebe es auch Fortschritte: „Der Einsatz digitaler Kommunikationsmedien hat sich in den vergangenen zwei bis drei Jahren deutlich erhöht. Zudem investieren viele Autohäuser ihre Marketingbudgets zunehmend in Online-Medien.“

Das dürfe jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass weniger als ein Fünftel der Autohäuser auf Basis einer spezifischen Digitalstrategie agiere. „Eine vollständig digitale Customer Journey ist noch in weiter Ferne“, resümiert Reindl. Sicherlich auch weiter weg als sich dies die OEMs vor Jahren noch vorgestellt hatten.

Immersives Kundenerlebnis soll Bindung stärken

VR/AR-Technologien und Technologien aus dem Gaming gelten unter OEMs nämlich schon länger als Weg, um ein besonderes Erlebnis in den Verkauf oder den anschließenden Lebenszyklus zu bringen. BMW zum Beispiel hat 2019 hierfür ein System aus Hard- und Software vorgestellt, das ein Realtime-Streaming erlaubt. Zum Content zählen Bild- und Videomaterialien, die mit individuellen Angeboten kombiniert dem Kunden auch nach dem Aufenthalt im Autohaus die Möglichkeit bieten, in Ruhe ein individuell konfiguriertes Fahrzeug genau zu betrachten. Laut BMW sind weltweit über 8.000 solcher Systeme in 60 Märkten am Laufen.

Audi wiederum nutzt in seinen City-Stores beispielsweise die Audi VR Experience, damit Kunden Fahrzeuge virtuell erkunden können, um sich ein besseres Bild von Innenraum, Ausstattung oder Farbvarianten zu machen. Und Skoda baute in den vergangenen Jahren eine Präsenz im Metaverse auf – sozusagen, um die Kundschaft von morgen vor allem beim Thema Elektromobilität möglichst früh anzusprechen. Ähnliches versuchte auch Volkswagens Elektromarke Cupra, die zum Beispiel die Community bei der Gestaltung eines Concept Cars mitbestimmen ließ. Es bleibt allerdings unklar, wie genau es mit diesen Aktivitäten künftig weitergehen wird. Cupras Raum im Metaverse ist seit diesem Jahr nicht mehr öffentlich zugänglich.

Immersive Showrooms weit weg von Komplettintegration

„Immersive Showrooms haben heute noch Seltenheitswert“, sagt Reindl. Er meint damit Verkaufs- und Präsentationsräume, in denen durchgängig und prozessintegriert digitale Technologien wie VR, AR, 3D-Visualisierungen oder interaktive Displays genutzt werden, um ein besonders intensives, realistisches und emotionales Produkterlebnis zu schaffen – ohne dass das physische Produkt vollständig vorhanden sein muss. Auch wenn immer mehr Hersteller, gerade im Premiumbereich, sowie einzelne Autohausgruppen solche Tools gezielt zur Verkaufsunterstützung einsetzten: „Eine Komplettintegration in alle Autohaus-Betriebsstätten einzelner Fabrikatsnetze ist offensichtlich noch nicht gegeben.“

Die Hürden sind in Reindls Augen die Kosten und die mangelnde Infrastruktur mit geeigneten Schnittstellen und fehlenden Möglichkeiten zur Prozessintegration. „So sind zum Beispiel hochwertige VR-Systeme heute noch verhältnismäßig teuer, klobig, benötigen Netzwerkintegration, geschultes Personal und die passende Infrastruktur auf der Verkaufsfläche“, sagt er. „Zudem ist mit einer schnellen Weiterentwicklung dieser Technologien zu rechnen, wodurch aktuelle Investitionen schnell zu irreversiblen Kosten führen.“ Vor diesem Hintergrund setze die Mehrheit der klassischen Autohäuser bislang lieber auf die Web-Konfiguration.

VR und Metaverse bleiben Beiprodukte

Jörg vom Hofe, Partner bei Deloitte und dort verantwortlich für Customer Transformation, sieht in Technologien wie VR oder Metaverse derzeit nur „Beiprodukte“: „Solche Entwicklungen waren getrieben durch das Agenturmodell, von der Idee, die Beratung maßgeblich auf die elektronische Ebene zu verlagern. Doch in den vergangenen Monaten haben viele OEMs ihre Pläne zur Einführung eines Agenturmodells ja wieder gestoppt oder zurückgestellt.“ Nun gehe es bei der Digitalisierung des Autohandels wieder stärker um die Grundlagen: um Dinge wie die Automatisierung von Prozessen, um Online-Terminplanung, personalisierte Mailings und virtuelle Showrooms.

„Die OEMs wollen weiterhin weg von ihrer klassischen Produktkommunikation und den Handel zum Beispiel bei der Lead-Generierung aktiv unterstützen. Kommt ein Neukunde über diese zweite digitale Tür in den Kanal, reicht ihn der OEM an den Handel weiter“, so vom Hofe. Er erwartet in der aktuell wirtschaftlich herausfordernden Phase der Automobilbranche, dass sich die Digitalisierung des Vertriebs eher beschleunigt.

Reindl ist da skeptischer: „Eigentlich wäre die Zeit mit dem nachvollziehbaren Fachkräftemangel prädestiniert für die schnelle Integration digitaler Elemente in den Vertrieb beziehungsweise in die Autohäuser. Aber das ist mit einer hohen Komplexität verbunden.“ Die Gründe liegen in seinen Augen in der Schnittstellenproblematik, der prozessualen Integration in bisherige „analoge“ Strukturen und nicht zuletzt „im häufig anzutreffenden Mindset in Autohäusern, der sich eher gegen digitale Strukturen richtet“, weil es Ängste vor Arbeitsplatzverlusten gebe. „Zudem fokussieren sich Hersteller und Importeure derzeit auf das schleppende Absatzgeschehen“, stellt Reindl fest, „wodurch grundlegende Veränderungsprojekte wohl zurückgestellt werden.“

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