
Fahrzeuge online zu konfigurieren ist längst kein Problem mehr - schwierig wird es, wenn um Rückmeldung aus dem „Real Life“ gebeten wird. (Bild: Azulblue - stock.adobe.com)
Die Komplexität im Kundenmanagement ist geradezu legendär – und die Hersteller haben bereits viel unternommen, um einen besseren Zugriff auf die Daten ihrer Kunden zu bekommen. „Die digitale Strecke ist gut abgedeckt – von Social Media bis zur Website, dem Konfigurator und in Richtung Lead-Forwarding. Die Brüche finden sich im Wesentlichen dort, wo es von Online in Richtung Offline geht“, meint Herr Jan-Henrik Thomas, Partner bei Berylls by Alix Partners.
Besonders stark hake es dort, wo Kunden über Online-Kanäle Fahrzeuge konfigurieren und dann um Kontaktaufnahme bitten – oder auf einen Hinweis reagieren, dass ein Leasingvertrag ausläuft und sie ein neues Fahrzeug wählen sollten. „Die heutige Erwartungshaltung von Kunden im digitalen Handel könnte man als ‚Instantness‘ bezeichnen. Dazu passt es dann nicht, wenn es drei Wochen lang keine Rückmeldung gibt, weil der Händler vielleicht nicht entsprechend incentiviert ist oder andere Prioritäten hat“, so Thomas. Eine weitere Lücke entstehe durch die Kunden, die sich online informieren und sich – ohne Daten abzusenden – anschließend direkt an den Handel wenden. Hier lasse sich etwa kaum nachvollziehen, ob der Ursprung eines Leads werbeinduziert sei oder ob es sich um einen Bestandskunden handelt.
Standardisierung bleibt schwierig
„Es spannt sich eine Matrix von unterschiedlichen Organisationseinheiten in den Dimensionen Business Units, Vertriebsstufen und teilweise Marken auf, die alle das Thema Kundenmanagement und CRM jeweils mit eigenen Nuancen besetzen. Dadurch war die Landschaft bisher sehr heterogen und sehr komplex“, sagt Michael Eschweiler, Partner beim Implementierungspartner Senacor. Bisher hätten die Märkte relativ starke Organisationen mit eigenen Budgets, um jeweilige Prozesse und individuelle Aspekte umzusetzen.
„In den letzten Jahren – und zunehmend unter dem Kostendruck der aktuellen Großwetterlage in der Automobilindustrie – will man sich diese vergleichsweise ineffektive Vielfachbebauung jedoch nicht weiter leisten“, berichtet Eschweiler. Viele Prozesse seien gut standardisierbar. Das setze allerdings auf allen Seiten den Willen dazu voraus: Hier sei eine entsprechende Organisationsveränderung notwendig, um eine weitergehende Konsolidierung der CRM-Applikationslandschaft zu ermöglichen.
Doch auch Standardisierungsversuche bringen Hürden. In den letzten drei bis fünf Jahren hätten – getrieben eher durch die Vertriebs- als die IT-Abteilungen – zunehmend mehr OEMs auf Salesforce gesetzt, um von klassischem CRM hin zu Kunden-Experiences zu kommen, berichtet Thomas. Dabei gehe es auch darum, die Datentöpfe in Data Lakes zu synchronisieren.
„Aber viele Hersteller merken jetzt auch, dass eine solche Software-as-a-Service-Lösung einen wesentlichen Nachteil hat: die unkontrollierbaren Lizenzkosten“, konstatiert Thomas. Alle, die etwa im Handel mit Leads arbeiten, brauchen eine Lizenz. Hier finde derzeit ein Umdenken statt und es würden eigene Lösungen dafür gebaut.
Datenqualität reicht nicht für Kundenprofile
„Ein drängendes Problem, das wir überall wahrnehmen, ist die Datenqualität. Im CRM als Querschnitts-Thema über viele beteiligte Prozesse gehen an sehr vielen Touchpoints Daten ein“, erklärt Michael Eschweiler. So würden häufig beispielsweise in Call Centern oder im Handel Daten unter Zeitdruck nur unzureichend erfasst. Aus diesen Daten solle eigentlich der Kundenstamm als Backbone für die 360-Grad-Sicht geformt und um Daten aus Aftersales, Financial Services oder dem Online-Kanal angereichert werden. „Das scheitert oft schon daran, dass die Qualität der jeweiligen Daten so unterschiedlich ist. Wir nehmen es als großes Problemfeld wahr, in dem sich die Unternehmen schwertun – gerade mit Blick auf die Befähigung von AI-Use-Cases im Sinne von Data und AI Readiness“, so Eschweiler.
Insgesamt bedürfe es einer Vernetzung auch von interaktions- und eventgetriebenen Daten, um eine Kontextualisierung zu erreichen, stellt Thomas fest. Nur so lasse sich der Kunde im richtigen Augenblick auf dem von ihm präferierten Kanal erreichen. Leuchtet zum Beispiel die Öllampe auf, sollten Kunden direkt eine WhatsApp, SMS, E-Mail oder einen Anruf bekommen mit Terminvorschlägen für einen Werkstattbesuch, Ölwechsel oder Service, von denen einer direkt bestätigt werden kann. Dafür müssen viele Systeme und Datentöpfe zusammenspielen.
Das direkte Vertriebsmodell löst das Dilemma nicht
„Hier sind die Hersteller wirklich noch schlecht aufgestellt. Auch große Investitionen in das direkte Vertriebsmodell, wo die Datenhoheit beim OEM liegt, sorgen nicht notwendig für eine Verbesserung“, stellt Thomas fest. Diese Agentursysteme hätten noch nicht die entsprechende Reife. „Die Hersteller sind systemisch und prozessual nicht bereit, diesen Vertriebsdruck insbesondere in der aktuellen Marktlage selbst zu übernehmen“, stellt der Experte fest. Auch aus Sicht von Eschweiler tun sich die Konzerne sehr schwer, die IT für Direktvertriebsmodelle aufzubauen. Einige OEMs hätten sich hier einen stärkeren Durchgriff auf die Daten für die Profilbildung – auch ohne direkte Zustimmung des Kunden – erhofft: „Viele Vorhaben sind verschoben oder auch gänzlich gestoppt worden, weil die IT einfach unzureichend funktioniert hat. Die Komplexität der notwendigen Gesamttransformation wurde massiv unterschätzt“.
Dennoch müssen die Hersteller Lösungen für die Datenthematik finden. „Wir sehen vielfach, dass die OEMs schauen, wie sich auch ohne Agentursystem gemeinsame Datennutzungsvereinbarungen mit dem Handel erreichen lassen – um überhaupt mit den Daten arbeiten zu können“, nennt Jan-Henrik Thomas einen aktuellen Trend.
Um zu wissen, welche Person welches Fahrzeug besitzt und welche Interaktionspunkte sie mit Handel und Werkstatt hat, müssen die Daten aus den Dealer-Management-Systemen (DMS) gezogen und verknüpft werden: Ein Thema, für das bisher noch viel Geld ausgegeben wird. „Wenn es hingegen gelingt, viele dieser aus CRM-Sicht wertvollen Informationen in das digitale Profil zu verlagern, dann verringert sich die Notwendigkeit, das DMS so aufwendig zu integrieren wie heutzutage“, erläutert Eschweiler einen möglichen Lösungsansatz.
Doch dafür müsse der Kunde auch im Handel vorrangig mit seiner digitalen Identität unterwegs sein – und das digitale Kundenprofil zudem dem Handel einen stärkeren Mehrwert liefern. Hier könne GenAI eine Chance bieten, die Kundenprofile bereits am Anfang der Customer Journey zu verankern – anstatt wie bisher nur in der Nutzungsphase.