
Das schlagende, autonome Herz von Moia: Die Serienversion des ID.Buzz AD soll in den nächsten zwei Jahren in Deutschland und den USA Menschen fahrerlos von A nach B bringen. (Bild: Moia)
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Noch kurz bevor Tesla seinen ersten eigenen Robotaxi-Dienst auf die Straßen der Vereinigten Staaten schicken will, macht ein Anbieter aus Europa in Sachen autonomer On-Demand-Mobilität selbstbewusst auf sich aufmerksam: In Hamburg haben Volkswagen und Moia nicht nur ihr serienreifes Level-4-Robotaxi, den I.D. Buzz AD, der Öffentlichkeit präsentiert. Daran angeschlossen liefert VW mit seiner Mobilitätstochter gleich eine „schlüsselfertige Komplettlösung für vollautonome Fahrdienste“ mit, wie die Partner das White-Label-Angebot selbst nennen.
„Unser großes Ziel ist es, den Verkehrsfluss durch das Teilen von Fahrten und durch bessere Steuerung, die autonome Fahrzeuge ermöglichen, zu optimieren“, sagte Moia-CEO Sascha Meyer im Vorfeld der Robotaxi-Premiere. „Wir wollen zeigen, dass die deutsche Automobilindustrie über die Technologiekompetenz verfügt, autonome Mobilität in großem Maßstab zu industrialisieren – skalierbar ab 2027 in Europa und den USA.“
Das Rundum-sorglos-Paket der Mobilität
Hinter dieser selbstbewussten Ansage steckt ein umfassendes Mobilitätskonzept, das Moia und die Konzernmutter über ihre Nutzfahrzeugsparte VWN in den letzten Jahren und mit den Erfahrungen des laufenden Ridepooling-Angebots in Hamburg zusammengebaut haben. Das Ganze nennt sich Moia Turnkey Solution und markiert nun endgültig Volkswagens Abkehr vom reinen Anbieter von Mobilität hin zu einem Bereitsteller von Technik, Plattform, Geschäftsmodell und Knowhow in Form eines Rundum-sorglos-Pakets der autonomen Mobilität.
Profitieren sollen Mobility Provider wie Uber, mit dem VW erst kürzlich eine große Kooperation in den USA angekündigt hat, oder lokale Verkehrsbetriebe wie die Hamburger Hochbahn oder die BVG in Berlin. Sie alle sollen in naher Zukunft mithilfe von Moia autonome On-Demand-Dienste je nach Rechtsrahmen und politischem Wille relativ einfach und schnell in das eigene Angebot integrieren können.
Für Christian Senger, der bei Volkswagen das Thema autonome Mobilität verantwortet, ist klar: „Das Robotaxi ist der beste industrielle Eisbrecher für die autonome Mobilität“. Der Sprung zum vollautonomen Fahren sei für ihn ein disruptiver Moment, der aus Haftungsgründen erst einmal nicht im Umfeld des privaten Pkws stattfindet. „Plötzlich ist nicht mehr der Fahrzeughalter verantwortlich, sondern ein professionelles Unternehmen. Deshalb startet das vollautonome Fahren auch im B2B-Geschäft.“
Senger und Meyer prognostizieren hier einen völlig neuen Markt, der weder allein aus der Autoindustrie einerseits noch aus der Mobilitätsbranche andererseits erwächst. Die beiden nennen diese neue Zwischenwelt Physical AI, in der in den kommenden zehn Jahren mittlere dreistellige Milliardenbeträge erwirtschaftet werden könnten. „Diese physische KI ist keine normale Cloud-KI. Sie muss im Millisekundenbereich entscheiden, darf wenig Energie verbrauchen, braucht hohe Eigensicherheit – und muss dabei bezahlbar und skalierbar bleiben“, erläutert Christian Senger.
Die Technologie: der ID. Buzz AD
Zentraler technologischer Baustein dieser Mobilitätsvision von VW und Moia ist die neue Serienversion des ID. Buzz AD, die für den fahrerlosen Einsatz in der EU und den USA bis Ende 2026, Anfang 2027 konzipiert wurde. Die neue Version basiert dabei im Wesentlichen auf dem Versuchsträger, der bislang in Hamburg, München, Austin und Oslo zwecks Weiterentwicklung im laufenden Betrieb unterwegs war.
Im Unterschied zu den Entwicklungsfahrzeugen verfügt die Serienversion über einen verlängerten Radstand und eine erhöhte Dachlinie, um den Einstieg zu erleichtern und auch dem Thema Barrierefreiheit entgegenzukommen. Was Redundanz in der Umfeldwahrnehmung betrifft, so unterstreicht der ID. Buzz AD Volkswagens Commitment zur Multisensorik: 13 Kameras, neun Laserscanner (Lidar) und fünf Radarsensoren sollen im dichten Stadtverkehr von Hamburg oder Los Angeles andere Autos, Fahrradfahrer und Fußgänger voneinander unterscheiden und entsprechende Fahrmanöver einleiten. Die 27 Sensoren sollen zusammen sowohl 300 Meter Weitsicht auf der Autobahn, für die der ID. Buzz AD ebenfalls ausgelegt ist, als auch Nahsicht direkt vor der Stoßstange gewährleisten.
Herzstück des autonomen Shuttles ist das Self-Driving-System von Tech-Partner Mobileye, mit dem VW und Moia seit dem Bruch mit Argo.AI zusammenarbeiten und von dem man sich in Hamburg und Hannover deutlich mehr Skalierungsfähigkeiten im Kontext Level-4-Autonomie erhofft. Ergänzt wird das System durch eigene Kartendaten, geoNet-Routenintelligenz und cloudbasierte Updates, die alle sechs Wochen die neueste Software einspeisen.
„Unser ID. Buzz AD ist das erste speziell für vollautonome Mobilität nach europäischen Standards entwickelte Serienfahrzeug“, betont Christian Senger sichtlich stolz. „Das Robotaxi soll ein echtes Nutzfahrzeug sein, was jeden Tag bis zu zwanzig Stunden im Einsatz sein kann, wenn es nötig ist.“ Aktuell befindet sich die Robotaxiflotte noch im Testeinsatz mit 100 Versuchsfahrzeugen in Deutschland und den USA. Über 600.000 Kilometer habe man bereits im Testbetrieb absolviert, dazu kommen unzählige Stunden simulierter Erprobung.
Die Plattform: Software, Sicherheit, Schulung
Fast noch wichtiger und am Ende auch lukrativer als das Fahrzeug und die Selbstfahr-Technologie ist das, was VW und Moia in ihrem White-Label-Portfolio noch alles anbieten. Dazu gehört die Mobility-as-a-Service-Plattform, die unter anderem Passagiermanagement, Flottenkontrolle, eine Drittanbieter-Schnittstelle, oder die Befähigung der Betreiber-Mannschaft beinhaltet.
Die von den 300 Moia-Entwicklern (und einer nicht näher bezifferten Zahl an Teams aus dem Cariad-Umfeld) selbsterstellte Software soll unter Einsatz von künstlicher Intelligenz Flotten in Echtzeit steuern, automatisiert Fahrgäste betreuen und deren Emotionen detektieren, Sicherheit überwachen und sich nahtlos in bestehende Buchungs-Apps integrieren lassen können. „Diese Funktionen lassen sich nicht auf Menschen ohne immense Kosten übertragen – deshalb ist integrierte KI essenziell für einen funktionierenden Business Case“, betont Moia-Chef Sascha Meyer.
All dies unter dem von Meyer und Senger immer wieder betonten Mantra, dass sämtliche Qualitätsstandards und regulatorische Anforderungen penibel eingehalten werden – vielleicht um sich damit auch von anderen Anbietern aus weniger stark regulierten Märkten abzusetzen. „Wir entwickeln diese Standards – und wo Automatisierung nicht möglich ist, qualifizieren wir gezielt und zertifizieren auch“, erklärt Meyer. Das sogenannte Operation Enablement ist dabei der dritte Baustein in der Gesamtlösung von VW und Moia. Damit sollen Betreiber von Robotaxi-Flotten im Prinzip Beratungsleistung der Teams von Moia beziehen können, um den autonomen Ridepooling-Dienst leichter zu implementieren als auch betreiben zu können.
Keine Angst vor Waymo und Co.
Nun steht der autonome ID.Buzz in den Startlöchern, das Mobilitätspaket ist geschnürt. Doch wann geht es jetzt wo los? In Hamburg wird Moia voraussichtlich im Laufe des Jahres 2026 mit dem autonomen On-Demand-Ridepooling und deutlich mehr als 500 Fahrzeugen starten – dann jedoch erstmal weiterhin mit Sicherheitsfahrern. Komplett fahrerlos wird man die ID. Buzz AD in der Hansestadt wohl erst 2027 zu Gesicht bekommen – auch abhängig von der bis dahin gültigen Rechtslage zum autonomen Fahren in Deutschland und weltweit.
Gleiches gilt im Übrigen auch für die Partnerschaft mit Uber in den USA. Auch in Los Angeles startet man dieses Jahr zunächst mit Sicherheitsfahrern, 2027 soll es dann wirklich vollautonom weitergehen. Insgesamt soll dann eine Flotte von mehreren tausend selbstfahrenden Elektrobussen in Kalifornien unterwegs sein, buchbar über die Uber-App. Die Kooperation mit dem Fahrdienst-Giganten ist dann der erste Lackmustest, ob Moia als Systemlieferant auch wirklich reüssieren kann.
Christian Senger steckt auf jeden Fall voller Selbstbewusstsein und scheut auch nicht den Vergleich mit neuen, ambitionierten Playern wie Waymo, Zoox, Apollo oder Motional. „Unsere Kernwettbewerber fußen ihre Aktivitäten allesamt noch auf der These, dass keine Synergien zwischen dem vollautonomen Fahren und Fahrerassistenzsystemen bestehen, vor allem was Redundanz und Performance anbelangt“, erklärt der VW-Manager.
Zusammen mit Mobileye trete man den Beweis an, dass man sehr wohl synergetisch einen ADAS-Stack zu einem Level-4-System hochentwickeln könne. So flößen sämtliche Daten aus der Fahrzeugflotte des Volkswagen-Konzern sowie die Sensortechnologie aus dem Privat-Pkw-Bereich in die Fortentwicklung der autonomen Shuttles. Für Senger in Sachen Skalierbarkeit ein nennenswerter strategischer Vorteil.
Dazu käme mit dem ID. Buzz AD ein vergleichsweise günstiges Trägerfahrzeug, ein mit den Daily Operations eines Mobilitätsanbieters vertrautes Team bei Moia und Volkswagens unschätzbare Expertise bei der Serienfertigung. „Wir sind damit gegenüber der Konkurrenz mehr als wettbewerbsfähig“, unterstreicht Senger. Damit ist der Ton im Robotaxi-Rennen gesetzt. Ein selbstbewusstes Signal aus Europa, dem jetzt schnell und überzeugend Taten folgen müssen.