Strategie, Technik und Recht

Der große Überblick zum autonomen Fahren

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Autonome Fahrzeuge auf einem Highway vor einer Skyline.
Das autonome Fahren zählt zu den bedeutsamsten Zukunftstechnologien der Autobranche.

Wie ist der aktuelle Stand beim autonomen Fahren? In unserem Überblick finden Sie alle Hintergründe zu technischen Innovationen, den Plänen der Automobil- und Tech-Industrie sowie der Rechtslage in Deutschland.

Autonomes Fahren galt lange als eines der vielversprechendsten Zukunftsthemen der Mobilität. Doch die Coronapandemie und der rasante Aufstieg der Elektromobilität führten dazu, dass viele Hersteller und Zulieferer ihre Investitionen in autonome Technologien zunächst zurückfahren mussten. Inzwischen erlebt das Thema jedoch eine Renaissance: Die Automobilindustrie nähert sich über fortschrittliche Fahrerassistenzsysteme zunehmend den höheren SAE-Leveln an. Ein Blick auf das Programm der IAA Mobility 2025 zeigt, wie ernst OEMs und Zulieferer das Thema wieder nehmen. Auch international ist Bewegung im Markt: BYD etwa setzt mit seiner „God’s Eye“-Technologie auf ein kamerabasiertes System, das ohne Lidar auskommt und dennoch beeindruckende autonome Fahrleistungen ermöglicht. Mercedes-Benz wiederum hat die Zulassung für Level-3-Fahrten bis Tempo 95 in Deutschland erhalten und plant die Ausweitung auf weitere Märkte wie die USA und Japan.

Die Herausforderungen bleiben jedoch groß, denn neben technischen Hürden wie Sensorfusion und Echtzeitverarbeitung sind auch rechtliche und infrastrukturelle Fragen weiterhin ungelöst. Die Branche arbeitet intensiv daran, Standards zu harmonisieren und Vertrauen in die Technologie zu schaffen. Eines steht fest: Autonomes Fahren verlangt nicht nur nach innovativer Technik, sondern auch nach einem robusten rechtlichen Rahmen und einer intelligenten Infrastruktur. Die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass die Branche entschlossen ist, diese Herausforderungen zu meistern.

Die Level des autonomen Fahrens:

Um den Grad der Automatisierung von Fahrzeugen zu beschreiben, wird seit 2014 die Norm J3016 der SAE International herangezogen. Sie klassifiziert die Systeme automatisierten Fahrens in sechs Stufen.

Level 0 – keine Automatisierung: Dem Fahrer obliegt die Fahraufgabe. Er wird lediglich durch Warnhinweise (Bsp.: Totwinkelassistent) oder situationsbezogene Assistenzsysteme (Notbremsassistent) unterstützt.

Level 1 – Fahrerassistenz: Der Fahrer übernimmt federführend die Fahraufgabe, wird aber fahrmodusabhängig durch jeweils einen Assistenten (Bsp.: Spurhalteassistent, Adaptive Cruise Control) entweder beim Lenken, Bremsen oder Beschleunigen unterstützt.

Level 2 – Teilautomatisierung: Mehrere Assistenzsysteme (Bsp.: Überhol- oder Einparkassistent) helfen dem Fahrer gleichzeitig beim Lenken, Bremsen oder Beschleunigen. Die Kontrolle und Umgebungsüberwachung liegt jedoch weiterhin beim Menschen.

Level 3 – Bedingte Automatisierung: Assistenzsysteme übernehmen große Teile der Fahraufgabe. Der Fahrer kann seine Aufmerksamkeit vorübergehend vom Straßenverkehr abwenden, muss allerdings übernahmebereit bleiben – etwa beim Stauassistenten auf der Autobahn.

Level 4 – Hochautomatisierung: Die Fahrzeugführung kann für bestimmte Fahrmodi (Bsp.: Autobahn oder Parkhaus) komplett an die Systeme abgegeben werden. Auch in Notsituationen ist kein Eingriff erforderlich. Falls noch Pedale und Lenkrad verbaut sind, ist weiterhin ein menschliches Eingreifen möglich.

Level 5 – Vollautomatisierung: Das Fahrzeug ist in allen Verkehrssituationen und bei allen Fahrbahn- und Umgebungsbedingungen vollends selbstständig. Der Fahrer muss (und kann) nicht mehr eingreifen.

Wer ist führend beim autonomen Fahren?

Neben der Elektromobilität hat sich das autonome Fahren in den letzten zehn Jahren zu einem der wichtigsten Zukunftsfelder der Automobilindustrie entwickelt. Nach einem anfänglichen Hype, unter anderem durch das Vorpreschen Teslas, geriet das Thema zeitweise in den Hintergrund. Doch mit der neuen Rechtslage in Deutschland greifen vor allem Premiumhersteller wie Mercedes-Benz und BMW wieder verstärkt an.

Mercedes-Benz hat mit dem Drive Pilot ein Level-3-System etabliert, das seit 2025 auch bei Geschwindigkeiten bis 95 km/h eingesetzt werden darf. BMW wiederum bietet mit dem Personal Pilot ebenfalls ein Level-3-System in der 7er-Reihe an und setzt auf eine skalierbare Plattform in Kooperation mit Qualcomm und Arriver. Der Wettlauf mit chinesischen Playern hat längst begonnen. BYD etwa setzt mit seiner „God’s Eye“-Technologie auf ein kamerabasiertes System, das ohne Lidar auskommt und dennoch beeindruckende autonome Fahrleistungen zeigt. Baidu wiederum will sein Robotaxi-Geschäft ab 2025 profitabel machen und fährt bereits in Peking ohne Sicherheitsfahrer.

Auch Tech-Unternehmen wie Waymo und Mobileye treiben die Entwicklung voran. Waymo etwa erreicht mit seinen Robotaxis über 250.000 Fahrten pro Woche und expandiert in neue Städte und Partnerschaften. Mobileye entwickelt Plattformen wie „SuperVision“ und „Chauffeur“, die zunehmend auch von europäischen OEMs integriert werden. Die Vision selbstfahrender Autos wird also nicht nur von klassischen Autobauern verfolgt. Volumen- und Premiumhersteller suchen den Schulterschluss mit Tech-Partnern, um das autonome Fahren in die Breite zu bringen. Die Testumfänge und die Geschwindigkeit der Entwicklung steigen – und damit auch der Druck auf die Industrie, Lösungen zu liefern, die sowohl technisch als auch rechtlich tragfähig sind.

Wie funktioniert ein autonomes Auto?

Autonome Fahrzeuge übernehmen zunehmend die Rolle des Fahrers und müssen dafür ihre Umgebung präzise wahrnehmen. Während Menschen nur eingeschränkt in alle Richtungen blicken können, ermöglichen moderne Sensorcluster den Autos einen vollständigen 360-Grad-Rundumblick. Hersteller und Zulieferer setzen dabei auf eine Kombination aus Ultraschall-, Radar-, Lidar- und Kamerasystemen, die kontinuierlich weiterentwickelt und miteinander vernetzt werden. Diese Sensoren erfassen die Umgebung des Fahrzeugs in Echtzeit und liefern die Grundlage für automatisierte Entscheidungen.

Die gesammelten Daten werden von leistungsfähigen Steuergeräten verarbeitet, die daraus ein umfassendes Bild der Verkehrssituation erstellen. So können nicht nur bestehende Fahrerassistenzsysteme wie Spurhalte- oder Notbremsfunktionen verbessert werden, sondern auch komplexe automatisierte Fahrfunktionen realisiert werden. Je nach technischer Ausbaustufe übernimmt das Fahrzeug dabei immer mehr Aufgaben, bis hin zum vollständig autonomen Fahren ohne menschliches Eingreifen. Die Kombination aus präziser Sensorik, intelligenter Datenverarbeitung und vernetzter Fahrzeugarchitektur bildet somit das Fundament für die Mobilität der Zukunft.

Ist die Infrastruktur für autonomes Fahren gewappnet?

Moderne Sensorik allein reicht nicht aus, um die Vision vollständig autonomer Mobilität zu verwirklichen. Damit Fahrzeuge sicher und effizient agieren können, müssen sie sich als aktiver Bestandteil einer digitalen Verkehrsinfrastruktur verstehen. Der kontinuierliche Austausch von Informationen zwischen Fahrzeugen und ihrer Umgebung – bekannt als Car-to-Car- und Car-to-X-Kommunikation – ist entscheidend, insbesondere in Situationen, in denen die Bordtechnik an ihre Grenzen stößt, etwa bei schlechter Sicht oder hinter Hindernissen. Ein zentrales Problem bleibt die fehlende Einigung auf einen einheitlichen Kommunikationsstandard. Während einige Hersteller auf den WLAN-basierten Standard WLANp setzen, bevorzugen andere die Mobilfunklösung C-V2X, die auf LTE und 5G basiert. Diese Uneinigkeit erschwert die Interoperabilität und damit die breite Einführung vernetzter Systeme.

Auch die Rolle des Mobilfunkstandards 5G wird kontrovers diskutiert. Zwar bietet 5G geringe Latenzen und hohe Datenraten, doch Experten wie Ivan Ndip vom Fraunhofer IZM bezweifeln, dass 5G allein für vollautonomes Fahren ausreicht. Die nächste Generation, 6G, soll deutlich leistungsfähiger sein und könnte den entscheidenden Schub für die flächendeckende Einführung bringen. Die Vernetzung von Fahrzeugen mit der Infrastruktur ist also ein zentraler Baustein für die Zukunft der Mobilität. Doch bis autonome Fahrzeuge wirklich flächendeckend und sicher unterwegs sein können, müssen noch viele technische, regulatorische und infrastrukturelle Hürden überwunden werden.

Ist autonomes Fahren in Deutschland erlaubt?

Deutschland verfolgt seit der Gesetzesnovelle im Juli 2021 das Ziel, eine internationale Vorreiterrolle beim autonomen Fahren einzunehmen. Mit der Änderung des Straßenverkehrsgesetzes wurde der rechtliche Rahmen geschaffen, um Fahrzeuge auf SAE-Level 4 in einem definierten Betriebsbereich zuzulassen. Diese Regelung richtet sich jedoch primär an Anbieter im Personen- und Gütertransport, etwa für Shuttle-Dienste oder automatisiertes Valet Parking, und weniger an den privaten Individualverkehr.

Ein aktuelles Beispiel ist die bundesweite Genehmigung für ZF, autonome Fahrzeuge im öffentlichen Nahverkehr zu testen. Damit wird deutlich, dass der Fokus weiterhin auf kommerziellen Anwendungen liegt. Die sogenannte Halterhaftung bleibt bestehen, was bedeutet, dass bei einem Unfall nicht der Hersteller, sondern der Betreiber des Fahrzeugs haftet – ein Punkt, der insbesondere bei privaten autonomen Pkw kritisch diskutiert wird.

Auch ethische und verfassungsrechtliche Fragen sind noch nicht abschließend geklärt. Die Debatte um moralische Entscheidungen, die autonome Fahrzeuge in Extremsituationen treffen müssten, ist weiterhin aktuell. Die Bundesregierung setzt auf eine Kombination aus technischer Aufsicht und klaren Betriebsanforderungen, um einen risikominimalen Zustand sicherzustellen, wenn eine Weiterfahrt nicht möglich ist. Deutschland hat damit zwar einen rechtlichen Rahmen geschaffen, der den Einsatz autonomer Fahrzeuge erlaubt, doch die praktische Umsetzung bleibt komplex und ist stark vom jeweiligen Einsatzszenario abhängig.

Wo werden autonome Fahrzeuge zuerst eingesetzt?

Autonome Fahrzeuge finden ihre ersten Einsatzfelder nicht nur im privaten Straßenverkehr, sondern zunehmend auch im öffentlichen Raum. Besonders der Öffentliche Personennahverkehr entwickelt sich zu einem wichtigen Testfeld für automatisierte Mobilitätslösungen. In Hamburg etwa startet im Rahmen des Projekts Alike der Testbetrieb mit dem autonomen Kleinbus Holon Urban, der künftig barrierefrei bis zu 15 Fahrgäste befördern soll. Die Fahrzeuge werden ab 2026 für die Öffentlichkeit verfügbar sein.

Parallel dazu plant Volkswagen gemeinsam mit seiner Ridepooling-Tochter Moia den Einsatz des ID. Buzz AD, eines vollelektrischen und autonom fahrenden Shuttles, ebenfalls in Hamburg. Die Fahrzeuge sollen im Rahmen des Projekts zunächst mit Sicherheitsfahrern unterwegs sein und später vollständig autonom agieren. Damit wird Hamburg zu einem zentralen Standort für die Erprobung autonomer Mobilitätskonzepte im urbanen Raum. Volkswagen verfolgt dabei eine ehrgeizige Strategie, um es mit Tech-Giganten wie Waymo und Tesla aufzunehmen und eigene autonome Plattformen zu etablieren.

Auch im Bereich der Logistik zeigt sich großes Potenzial für den Einsatz autonomer Fahrzeuge. Während der Pkw-Verkehr noch mit rechtlichen und technischen Hürden kämpft, könnten autonome Lkw deutlich schneller in die Praxis überführt werden. Unternehmen wie MAN testen bereits fahrerlose Lastwagen auf deutschen Autobahnen, etwa zwischen München und Nürnberg, um die Machbarkeit im realen Betrieb zu prüfen. Die Vorteile liegen auf der Hand: strukturierte Umgebungen, planbare Routen und ein hoher Bedarf an Automatisierung machen den Güterverkehr zu einem idealen Einstiegspunkt für autonomes Fahren. Damit könnten autonome Fahrzeuge schon bald in der Logistik und im Nahverkehr zum Alltag gehören – lange bevor sie flächendeckend im privaten Straßenverkehr eingesetzt werden.

Dieser Artikel wurde ursprünglich im September 2021 veröffentlicht und wird seitdem fortlaufend aktualisiert.